Studienanalyse - Wie sich Ziele auf die Wahrnehmung von Freude auswirken

Einführung

Hast du dich schonmal gefragt, wie es sein kann, dass du auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitest, es sogar erreichst …. Und dann fühlt sich das gar nicht mal so gut an? Und du siehst nach rechts und links - da sind Menschen die den gleichen Weg gehen oder sogar noch ein paar Schritte zurückliegen - und die fühlen sich viel besser mit dem Erfolg?

Ich bin vor kurzem auf eine faszinierende Studie gestoßen. Sie ist am Ende des Artikels auch verlinkt, wenn du sie dir direkt anschauen willst. Gegenstand dieser Studie ist es, ein neues Modell zu finden, das erklärt, warum Menschen mit Anhedonie weniger positive Effekte auf den Dingen ziehen, die sie tun

Anhedonie (Freudlosigkeit): Anhedonie ist ein psychisches Störungsbild, bei dem die Fähigkeit, positive Emotionen wahrzunehmen, reduziert ist. Es kann als Symptom bei vieler verschiedener Störungen vorkommen, allen voran der Depression.

Disclaimer: In der Studie geht es primär um Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Wenn du das Gefühl hast, unter einer psychischen Störung zu leiden, suche bitte einen Arzt oder einen Psychotherapeuten auf.

Die Ergebnisse sind also nur bedingt übertragbar auf jemanden ohne diese Störung. Ich denke aber, dass die Implikationen aus dieser Studie uns einen Insight geben, der im täglichen Leben nutzbar ist.

Achtung - dieser Artikel könnte etwas trocken werden - Wenn du nur die Erkenntnisse der Studie lesen willst, spring doch ans Ende …

Wie entsteht Anhedonie?

Die Studie öffnet mit der Feststellung, dass die Anhedonie einerseits sehr komplex ist und andererseits noch nicht ausreichend erforscht ist. Es existieren also verschiedene Modelle und Erklärungsversuche. 

Es wird zunächst die Unterscheidung zwischen Anhedonie bezogen auf Konsum (reduzierte Freude an konkreten Situation) und Anhedonie bezogen auf Motivation (gemindertes Gefühl, etwas erreichen zu wollen) aufgemacht. Die Autoren weisen darauf hin, dass aktuelle Modelle davon ausgehen, dass das dopaminerge Belohnungssystem betroffen ist und nicht so funktioniert, wie es sollte. Darauf aufbauend wird die Annahme getroffen, dass die individuelle Wahrnehmung von Freude abhängig von der Erreichung von Zielen innerhalb des eigenen Perspektivensystems ist. Außerdem geht sie davon aus, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen „Ich empfinde Freude in einer Situation“ und der generellen Einstellung „Ich möchte etwas erreichen“

Let’s Science the shit out of it

Im folgenden Teil der Studie wird es sciency. Ich versuche im Rahmen meiner Möglichkeiten alles etwas komplex reduziert darzustellen. 

Mathematische Grundlage dieser Studie

Es wird eine Formel aufgestellt, die das Verhalten von Menschen konzeptualisiert. Dabei wird festgehalten, dass das Verhalten eines Menschen abhängig ist von seiner aktuellen Situation und der Bewertung, was es benötigt, um in eine andere Situation zu kommen und was die zu erwartende Belohnung ist. Ziel ist, den optimalen Pfad zu finden, der die höchste, wahrscheinliche Belohnung zurückgibt. 

Die Autoren nennen dann zwei Erkenntnisse aus der Arbeit mit Ihrem Modell

  • Die eigene Wahrnehmung von Freude ist stark davon abhängig, wie zutreffend Ihre Bewertung zukünftiger Ereignisse ist. 

  • Die individuelle Bewertung, wie viel eine Belohnung wert ist, hängt mit gesetzten Zielen zusammen und wie sehr man dieses Ziel erreichen will.

    • Hier sei noch erwähnt, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Motivation ein gesetztes Ziel zu erreichen steigt, je näher man der Erreichung ist

    • Außerdem liegt die Vermutung nahe, dass das Erreichen von Zielen stark im Zusammenhang mit intrinsischer Motivation steht. 

Konkurrierende Ziele

Mit diesem grundlegenden Modell wurde nun untersucht, wie sich die Wahrnehmung von Freude in Situationen verhält, in denen mehrere Zieldimensionen existieren.

Die folgende Grafik verdeutlicht dabei das folgende:

  • Es werden jeweils zwei Dimensionen der Zielerreichung betrachtet. Im ersten Fall ist es das Glucose-Level und die Temperatur. Im zweiten Fall ist es investierte Zeit in die eigene Karriere und in Selbstfürsorge.

  • Der schwarze Punkt steht für einen theoretischen gewünschte Zielzustand, in den beiden Dimensionen optimal erfüllt sind.  

  • In beiden Beispielen findet die Bewegung entlang nur einer Zieldimension statt. Im ersten Fall Temperatur (z.B. man setzt sich in die Sonne), im zweiten Fall ist es die Investition in Selbstfürsorge (z.B. Erreichen eines Fitnesslevels)

  • Die jeweils dritte Grafik zeigt, wie die individuelle Belohnung wahrgenommen wird, also das Level an Freude.

Obwohl in beiden Fällen der gemachte Fortschritt auf einer Zieldimension der Gleiche ist (Temperatur und Selbstfürsorge), gibt es einen qualitativen Unterschied in der wahrgenommenen Freude. Die zufriedeneren Personen sind in der jeweils nicht fortgeschrittenen Zieldimension bereits näher an Ihrem Ziel. 

Das heißt, je mehr Ziele eine Person parallel verfolgt, desto geringer wird die gefühlte Freude bei der Erreichung eines einzelnen Zieles. 

Ziele und die Wahrnehmung über den Fortschritt

Bezogen auf die Wahrnehmung zur Erreichung von gesetzten Zielen ziehen die Autoren als Beispiel die Veröffentlichung eines wissenschaftlichen Papers heran. Die in der folgenden Grafik dargestellten Pfade C bis E sind stellen dabei verschiedene Annahmen dar, wie die Veröffentlichung ablaufen kann. Beziehungsweise viel mehr wie die Vermutung über den Prozess aussieht. 

Schaubild C veranschaulicht, dass ein Paper „durchdacht“, „geschrieben“, „diskutiert“, „eingereicht“ und „veröffentlicht“ wird. Es gibt jedoch den Schritt der Revision und es geht, nachdem es eingereicht wurde, zurück in Phase „schreiben“.

Die Schaubilder D und E zeigen die beiden Alternativen, wie der Student mit dieser Revision umgehen kann. Es findet entweder eine positive Neubewertung der Situation statt und das Ziel wird hinter die Schritt „Ablehnung“, „verbessern“, „einreichen“ gesetzt. In dem Fall wird das Paper am Ende wirklich veröffentlicht und es tritt der positive Belohnungseffekt der Freude ein.

Oder der Student nimmt eine negative Bewertung der Situation vor und beschließt, dass das Paper sowieso nicht veröffentlicht wird. Er gibt auf, das Paper wird nicht wirklich veröffentlicht und der Belohnungseffekt tritt nicht ein. 

Was man aus der Studie mitnehmen kann

An der Stelle springe ich einmal zum Ende der Studie und will dir die 4 Implikationen aus dem Paper mitgeben. Ich glaube, dass alle diese Punkte auch unabhängig von Anhedonie im täglichen Leben nutzbar sind.

  1. Nähe zum Ziel: Je näher du deinem Ziel bist, desto größer ist die Wahrnehmung von Freude, den du spürst. Gleichermaßen hat ein Ziel, dass noch weit in der Ferne liegt, einen geringeren Effekt.

  2. Glaubenssätze: Die Nähe zur Zielerreichung lässt sich zwar objektiv messen, deine individuelle Perspektive auf diesen Fortschritt hat jedoch eine massive Auswirkung auf deine subjektive Wahrnehmung, wie weit du von deinem Ziel entfernt bist. Bist du pessimistisch eingestellt, wirkt die Erreichung eines Zieles als weiter in der Ferne. Bist du optimistisch eingestellt, wirkt es näher. 

  3. Konkurrierende Ziele: Hast du mehrere Ziele, die du parallel verfolgst, reduzierst du den Belohnungseffekt jeder einzelnen Zielerreichung. Fokussiere dich daher auf ein Ziel, nach dem anderen anzugehen, anstatt mehrere parallel. 

  4. Fortschritt: Ergänzend zu dem ersten Punkt erzeugt eine bestimmte Menge an Fortschritt auf einer Zieldimension eine geringere Belohnungsreaktion, wenn der Fortschritt noch weit entfernt ist im Vergleich zu derselben Menge an Arbeit, kurz vor der Zielerreichung. Das heißt, die ersten Schritte, die du gehst, sind deutlich schwerer als die letzten.  

Abschluss

Dieser Beitrag ist doch etwas anders als die Anderen. Ich hoffe, du konntest trotzdem etwas für dich mitnehmen. Die Erkenntnisse der Studie mögen vielleicht trivial erscheinen oder entsprechen gegebenenfalls Weisheiten, die man schon tausendmal gehört hat. Was ich spannend finde, ist, dass die Erkenntnisse vor allem auch mathematisch bestätigt sind. Ich persönlich empfinde das als eine weitere Dimension der Legitimation dessen, was man sonst als Spruch auf einer Kaffeetasse finden könnte. 

In jedem Fall danke ich dir wie immer für deine Zeit und deine Aufmerksamkeit. 

In diesem Sinne!

Bleib gesund!


Quelle: https://www.cell.com/trends/cognitive-sciences/fulltext/S1364-6613(24)00006-8#

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