Das innere Team

Im letzten Post ging es um das Konzept des „inneren Kindes“ als eine Methode aus dem Katalog der Persönlichkeitsanteile. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass das Bild des inneren Kindes in uns nicht für jeden greifbar ist. Deswegen widme ich mich diese Woche dem Modell des inneren Teams. 

Entwicklung

Das Modell vom inneren Team wurde (ähnlich wie das Kommunikationsquadrat) von Friedemann Schulz von Thun entwickelt. Die Grundannahme ist, dass du, bezogen auf eine Situation oder ein Problem, nicht nur eine innere Stimme bzw. einen inneren Anteil hast, der eine Meinung hat, sondern viele verschiedene. Diese Anteile können entweder gleiche, ähnliche oder entgegengesetzte Perspektiven haben und formen so deine Gedanken auf die Situation.

Die inneren Teammitglieder

Hier wieder ein Disclaimer - natürlich handelt es sich wieder nur um ein Modell, also eine vereinfachte Darstellung der Realität. Das Bild der inneren Teammitglieder ist eine Metapher, um deine Gedankenprozesse besser sichtbar zu machen. 

Ein weiterer wichtiger Eckpfeiler dieses Modells ist die Erkenntnis, dass jeder Persönlichkeitsanteil, also jedes Teammitglied, für dich eine positive Funktion übernimmt. Jeder Anteil will nur das Beste für dich. Allerdings ist das, was das Beste für dich aus einer Perspektive ist, das Schlimmste aus einer anderen Perspektive. Aber dazu später noch einmal mehr. An der Stelle merke dir - jeder Anteil will dir helfen. 

Was hat es nun mit diesen Teammitgliedern auf sich? Um das für dich sichtbar zu machen, nimmst du ein, im besten Fall mehrere Situationen auseinander und hörst genau in dich. Welche Stimmen bzw. Meinungen werden bezogen auf ein Problem laut und wie könnte man diese Persönlichkeit benennen.

Ein Beispiel

Um das Ganze für dich transparenter zu machen, stell dir folgende Situation vor:
Es ist Montag, 06:30 Uhr. Du bereitest dich auf die neue Arbeitswoche vor und musst bald das Haus verlassen. Im Radio oder deiner Verkehrs-App wird auf deinem Arbeitsweg stockender Verkehr angesagt. Du bist mit deiner Morgenroutine noch nicht wirklich durch. Du hast ein wichtiges Projektmeeting um 08:00 Uhr im Büro.
In dir werden jetzt verschiedene Persönlichkeitsanteile laut. Diese werden die Situation bewerten und in dir Gefühle entstehen lassen. Es könnten zum Beispiel die folgenden Anteile sein:

  • Der Morgenmuffel - „Ich will wieder ins Bett gehen und weiter schlafen“

  • Der Organisator - „Ich muss pünktlich sein. Mit dem Verkehr brauche ich 10 Minuten länger. Das heißt, ich muss in 12 Minuten losfahren. Ich muss also das Frühstück weglassen“

  • Der Pessimist - „Na, da fängt die Woche ja großartig an. Das Meeting wird bestimmt auch die Hölle“

  • Der Entspannte - „Es ist, was es ist. 5 Minuten zu spät kommen ist auch noch okay“

  • Der Kommunikator - „Ich schreibe schnell dem Kollegen und sag, dass es später werden könnte“

  • Der Überforderte - „AAAAAHHHHHHHHHHH“

  • Der Selbstbewusste - „Das Meeting kann eh nicht ohne mich starten. Ich kann mir also Zeit lassen“

  • Der Unselbstbewusste - ”da hätte ich gestern besser planen müssen. Es ist meine Schuld, wenn das Meeting den Bach runter geht”

  • usw.

Der Teamleiter 

Ich hoffe, das Beispiel hat dir klargemacht, was zunächst mit den einzelnen Teammitgliedern gemeint ist. Um dein Team kennenzulernen, hilft es, mehrere Situationen durchzugehen, um zu schauen, was wiederkehrende Muster sind. Vielleicht gibt es eine Stimme, die nur in dieser einen Situation laut wird und sonst schweigt. Dafür gibt es andere, die jedes Mal eine Meinung haben. Gerne unterstütze ich dich bei der Erarbeitung deines inneren Teams!

Um aber die konkrete Situation aufzulösen, bedarf es eines Teamleiters. Das ist der Anteil, dem du in der Situation die meiste Aufmerksamkeit schenkst. Das ist die lauteste Stimme, die dann deine Entscheidung und deine Gefühle für die Situation entscheiden. Im Beispiel könnte das zum Beispiel der Organisator sein. Das Meeting ist so wichtig für dich, dass du in Situation einfach schnell umplanst und so einfach rechtzeitig ankommst. Oder der Pessimist gewinnt und du kommst mit einer negativen Grundeinstellung und zu spät im Meeting an. Die Woche ist dann gelaufen. 

Bis hierhin kannst du für dich das folgende mitnehmen: „Der Stimme, der du den vortritt, lässt bestimmt, wie du fühlst und wie du die folgenden Situationen bewertest”.

Die Teamsitzung als Methode

Bis hierhin passiert alles erstmal automatisch, unbewusst und ungesteuert in dir. Wenn du mit einer Situation konfrontiert bist, melden sich diese Anteile und du entscheidest dich für einen. Den anderen Stimmen misst du vielleicht keine oder wenig Bedeutung bei. Vielleicht empfindest du sie auch als nervig oder verwirrend.

Die Teamsitzung als Methode setzt genau da an. Was wollen dir diese Anteile eigentlich sagen? Welche Gedanken oder Bedürfnisse verbergen sich hinter den Stimmen? Warum werden sie in dieser Situation laut und warum hörst du eigentlich nicht auf sie? Nimm dir dafür 30 Minuten Zeit und geh diese Schritte durch. Alternativ helfe ich dir auch gerne bei deiner inneren Teamsitzung.

Der Grund für das Meeting

Damit du für dich klar bist, um welche Situation es geht, empfehle ich dir, die Situation einmal detailliert aufzuschreiben. Geh dabei noch nicht in die Bewertung oder in deine Gedanken, sondern formuliere erst einmal möglichst objektiv die Situation. Stell dir dafür die Frage „Würde ein unbeteiligter Dritter verstehen, was damit gemeint ist?“.

Ist die Situation klar, fängst du an, die jeweiligen Gedanken durchzugehen, die du in dieser Situation hattest und schreibst sie auf. Nimm für jeden Gedanken ein einzelnes Kärtchen oder einen kleinen Zettel. Hast du nur normale A4 Seiten, kannst du sie natürlich auch später zerschneiden.

Es ist außerdem wichtig, komplexe Argumente gegebenenfalls auch auseinander zu nehmen. Besteht ein Gedanke aus zwei Teilaspekten, machst du daraus zwei einzelne Gedanken. Wenn du mit diesem Schritt fertig bist, solltest du vor dir viele verschiedene Karten mit jeweils einem Gedanken haben

Die Teilnehmerliste

Wenn du es nicht schon oben gemacht hast, oder wenn es um eine neue Situation geht, ist der nächste Schritt die Teilnehmer des Teams festzuhalten. Nimm dir dafür ein paar Kärtchen und versuche die Anteile, die laut geworden sind, zu benennen. Schreibe sie jeweils auf eine Karte. Im besten Fall hast du sogar ein paar Stühle zur Verfügung. Lege in dem Fall auf jeden Stuhl eine Karte - ähnlich wie ein Platzkärtchen. Du solltest jetzt entweder auf einem Tisch die Anteile vor dir haben, oder sie liegen dir auf Stühlen gegenüber. 

Tipp: Farbige Karten oder bunt gemalte Markierungen auf den Karten helfen dir im Prozess, die einzelnen Themen besser zuzuordnen.

Nimm dir nun die Zettel mit den Gedanken und Argumenten aus dem ersten Schritt und ordne sie den jeweiligen Anteilen zu. 

Die Teamsitzung

Jetzt geht es darum, den einzelnen Teammitgliedern Ihren Raum zu geben. Wenn du mehrere Stühle hast, dann setz dich jetzt auf den Stuhl des ersten Mitgliedes. Alternativ nimm dir die entsprechende Karte und sammle jetzt alle Argumente ein, die du diesem Anteil zugeordnet hast. 

Versetze dich in die Perspektive dieses Anteils. Vielleicht fallen dir jetzt noch zusätzliche Argumente ein. Schreib sie gerne noch auf. Versuch, zu verstehen, was die Beweggründe dieses Anteils sind. Welche Bedürfnisse möchte dieser Anteil erfüllen bzw. wo besteht die Sorge, dass Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Es könnten jetzt auch Gedanken in dir hochkommen wie: „Das ist ja albern/dumm/lächerlicher“. Versuche, solche Impulse zur Seite zu schieben. Für dieses Teammitglied sind diese Gedanken wichtig. Schreib dir die jeweiligen Bedürfnisse oder Sorgen auf. Bist du mit einem Teammitglied durch, geh zum nächsten und wiederhole den Prozess.

Die Diskussionsrunde 

Wenn jedes Teammitglied zu Wort gekommen ist, solltest du eine Übersicht haben, in der die verschiedenen Bedürfnisse und Sorgen erfasst sind. Vermutlich wird es einige Teammitglieder geben, die näher beieinander sind und andere, die weit weg oder schon entgegensetzt zueinander stehen. In der Diskussionsrunde lässt du jetzt einzelne Teammitglieder miteinander in einen Dialog treten. Sie dürfen jetzt diskutieren und sich darüber (im positiven Sinne) streiten, welchen Bedürfnisse und Sorgen „wichtiger“ oder „weniger wichtig“ sind. 

Um diesen Prozess zu unterstützen, kannst du im Streitgespräch immer dann, wenn ein anderes Teammitglied redet, den Stuhl wieder wechseln. Oder du nimmst die entsprechende Karte in die Hand. 

In diesem Schritt wird ausgelotet, welcher Anteil mehr zu sagen hat und welchen du eher zuhören willst. Vielleicht sind Bedürfnisse gar nicht so weit auseinander und du findest sogar einen Kompromiss. Oder es gibt Anteile, die sind zwar da, sollen in der Situation aber schweigen.

Die Entscheidungsphase

Wenn du mit der Diskussionsrunde durch bist, geht's in die Entscheidungsphase. Nimm dir die Situationsbeschreibung wieder zur Hand. Du hast jetzt verschiedene Standpunkte, Sorgen und Wünsche angehört. Vielleicht sind dir Punkte bewusst geworden, die vorher gar nicht so klar sind.

Jetzt ist der Punkt gekommen, an dem du dich für eine Lösungsstrategie entscheiden solltest. Wie willst du jetzt (und zukünftig) mit solchen Situationen umgehen. Welche Wünsche und Bedürfnisse sollen erfüllt werden, welche Sorgen beachtet? Nimm dir dazu die jeweiligen Karten der Anteile, die du beachten willst und lass die anderen außen vor und dann triff eine Entscheidung. 

Abschluss

Und? Hast du eine innere Teamsitzung gleich mitgespielt? Auch wenn das Grundkonzept des inneren Teams und z.B. des inneren Kindes durchaus ähnlich sind, ist die Methode doch eine andere. Ich persönlich finde das innere Team auch etwas greifbarer. 

Was die Methode in jedem Fall wirksamer macht, ist, sie nicht nur im Kopf durchzuspielen. Sitzplätze zu wechseln, hilft immens, den Perspektivwechsel greifbarer zu machen.

Tipp: Alternativ kannst du verschiedene Kleidungsstücke wie Schals und Handschuhe. Schmuck oder Hüte benutzen. Sachen, die du schnell an und wieder ablegen kannst.

Was du aus der Methode aber mitnehmen kannst, ist das Folgende: Du trägst (metaphorische) Anteile in dir, die verschiedene Bedürfnisse oder Sorgen repräsentieren. Diese werden in verschiedenen Situationen laut und wollen dich unterstützen. Du hast die Wahl, welchen du zuhören willst, aber zuhören solltest du in jedem Fall. 

In jedem Fall danke ich dir wie immer für deine Zeit und deine Aufmerksamkeit. 

In diesem Sinne!

Bleib gesund!

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