Innere Anteile / Persönlichkeitsanteile
In diesem Post will ich mich dem Thema “innere Anteile” oder “Persönlichkeitsanteile” widmen. Hier gibt es erstmal nur einen Überblick über das Konzept. Was sind innere Anteile und wo kommen sie her? In späteren Posts möchte ich mit dir, dann nochmal über konkrete Methoden reden ( z.B. Das innere Team, die Transaktionsanalyse usw.)
Einführung
Du kennst das vielleicht von dir selbst, dir wird eine Frage gestellt, wie du eine bestimmte Situation einschätzt. Du überlegst und kommst zu dem Schluss “Ich hab da irgendwie zwei Meinungen” oder “Da bin ich mit mir uneins” oder “Da bin ich zwiegespalten”. Möglicherweise fällt dir das auch an deinem Verhalten auf. Während deiner Arbeitszeit hast du komplexe Prozesse vor Augen, denkst an den Quartalsbericht oder die Abarbeitung eines Produktionsplanes und bist seriös und professionell. Zu Hause, ziehst du deine Hello Kitty Hausschuhe an, zockst sorglos an der Konsole oder triffst dich mit Freunden und scherzt mit ihnen auf eine Art und Weise, die so gar nicht in den Arbeitskontext passen würde.
Hinter diesen, sehr unterschiedlichen, Verhaltensweisen stehen verschiedene Anteile deiner Persönlichkeit (innere Anteile). Deren Aufgabe ist es, sich jeweils um verschiedene deiner Bedürfnisse zu kümmern. Eins gleich vorab - jeder dieser Anteile hat dein Wohlergehen im Sinn, auch wenn sich das manchmal nicht so anfühlt.
Historisches
Das Erklärungsmodell für solche Anteile ist nichts, was in den letzten Jahren aufgekommen ist. Bereits die alten Griechen, Hippokrates, um genau zu sein, hat von Temperamentstypen gesprochen (Melancholiker, Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker). Aber auch in anderen Traditionen sind verschiedene Anteile des eigenen Wesens nicht fremd.
In der Moderne hat Sigmund Freud mit seinem Modell des “Es”, “Ich” und “Über-Ich” begonnen, bestimmte Impulse dem Bewusstsein, dem Vorbewusstsein und dem Unterbewusstsein zuzuschreiben. Daraus haben sich über die Jahre und die verschiedenen Psychologie Schulen weitere Ansätze entwickelt.
Heute existieren eine Vielzahl von Modellen, die sich alle um dieses Thema drehen. Schulz-von-Thun hat das innere Team niedergeschrieben, Eric Berne hat die Transaktionsanalyse entwickelt, John Bradshaw hat als therapeutisches Konzept die Arbeit mit dem inneren Kind entwickelt, Im Bereich der Familientherapie hat Richard Schwartz das System der inneren Familie entwickelt usw.
Gemeinsamkeiten
Was diesen Modellen grundsätzlich gemein ist, ist, dass sie annehmen, dass die Persönlichkeit eines Menschen kein homogenes Konstrukt ist, sondern vielmehr aus vielen Einzelteilen besteht.
Jeder einzelne Anteil hat dabei sein eigenes Werte- und Bedürfnissystem und unterstützt dich in gewissen Situationen. Um einen Parallele zwischen verschiedenen Modellen herzustellen: Vielleicht kennst du die Bedürfnispyramide nach Maslow - Stell dir vor, dass es für jede Stufe der Pyramide einen Persönlichkeitsanteil in dir gibt. Vermutlich sind es sogar pro Stufe viele verschiedene Anteile.
Beispiele aus der Praxis
Eines der elementaren Bedürfnisse ist ein Bedürfnis nach Sicherheit. Sicherheit selbst kann verschiedene Dinge bedeuten: Schutz vor der Umwelt, Schutz vor anderen Lebewesen, Schutz vor Armut, Schutz vor Vereinsamung… Je nachdem, um welches Schutzbedürfnis es geht, könntest ein bestimmter Persönlichkeitsanteil in dir aktiv werden.
Bist du vielleicht in einem sozialen Konflikt, könnte in dir “der Diplomat” aktiv werden, der versucht Konflikte auf harmonische Art und Weise zu lösen, um das soziale System zu schützen. Es könnte aber auch “der Trotzige” wach werden, der seine eigene Position auf jeden Fall beschützen will und nicht von der eigenen Position abweicht. Es könnte sich aber auch “der Katastrophisierende” melden, der schon sieht, wie alles den Bach runter geht und er deswegen vor dem Konflikt wegrennen will. Vielleicht meldet sich auch “Der Unentschlossene” der gar nicht weiß, wie er sich positionieren soll und deswegen überhaupt nicht weiß, wie er sich verhalten soll und deswegen schweigt.
Oder anders gedacht - stell dir vor es ist Samstag 12:00 Uhr und du überlegst dir, was du als nächstes tun solltest. Der kindliche Anteil in dir schreit vielleicht “Spaß! Spaß! Spaß!” und du überlegst, ob du ins Schwimmbad gehen oder mit Freunden zocken solltest. Der vorausschauende Erwachsene sieht vielleicht, dass der Rasen gemäht, die Hecke geschnitten, die Wäsche gewaschen und die Küche aufgeräumt werden müsste. Dein Fürsorglicher Anteil denkt sich aber unter Umständen “Eigentlich könnte ich mal wieder einen Mittagsschlaf im Garten, eine Runde Yoga oder ein Spa Wochenende für Körper und Geist machen oder einfach nur die Seele baumeln lassen bei einem Spaziergang”.
Du siehst, jedem dieser Anteile liegt ein anderes Bedürfnis zugrunde und daraus ergeben sich unterschiedliche Herangehensweisen, um eine Situation aufzulösen.
Wo kommen die Anteile her?
Hier gehen die Modelle ein klein wenig auseinander. Deswegen werde ich an dieser Stelle ein paar allgemeine Impulse setzen. Gleich bleibend ist aber, dass diese Anteile über deine ganze Lebensspanne entstehen, sich entwickeln und verändern.
Persönlichkeit
Ein maßgeblicher Teil ist deine ureigene Persönlichkeit, die du von Geburt an mitbringst. Bist du vielleicht ein eher introvertierter oder eher ein extrovertierter Mensch? Begegnest du der Welt mit Neugier oder mit Skepsis? Bist du eher ein Optimist oder ein Pessimist? Hast du ein ausgeprägtes Urvertrauen oder eher ein Urmisstrauen? Diese Fragen geben dir schon eine grundlegende Richtung mit, welche Anteile in dir vorhanden sind und welche du in deinem Leben entwickelst.
erlerntes Verhalten
Viel mehr jedoch sind es die Erfahrungen, die du in deinem Leben machst, die deine inneren Anteile prägen. Ich habe eben von Urvertrauen gesprochen. In der Entwicklungspsychologie wird davon ausgegangen, dass sich dies in der Erziehung und Beziehung mit den Eltern bzw. den Bezugspersonen entwickelt. Das heißt deine (Früh-)kindliche Entwicklung, gestaltet dieses Vertrauen massiv.
Eine zentrale Rolle spielt aber auch, wie sicher du mit schwierigen Situation, Konflikten und Problemen umzugehen gelernt hast. Wenn die Eltern auch eher zum Katastrophisieren geneigt haben, dann hat ein Anteil von dir dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gelernt. (#Modelllernen). Wurden Konflikte in der Familie auf Augenhöhe und wertschätzend gelöst, ist in dir vielleicht der Diplomat stärker ausgeprägt. Gab es immer Ärger wegen schlechter Noten, oder “Fehlverhalten” und konntest du dich nicht erklären oder gab es keine Hilfe, so hat sich vielleicht ein Anteil entwickelt, der im Erwachsenenalter solche Situationen von Beginn an meidet. Oder aber du hast als Kind gelernt, es ist okay mit dem Fahrrad hinzufallen, man muss einfach nur aufstehen und es nochmal probieren. Dann gibt es in dir vielleicht einen lauten Anteil, der sich nicht vor dem Scheitern fürchtet.
Solche prägenden Situationen kommen vorwiegend in der Kindheit und Jugend vor, wenn wir Situationen zum ersten Mal erleben. Natürlich können sich Anteile aber auch später im Leben entwickeln. Das erste mal alleine zu Wohnen und einen Haushalt zu führen, erste sexuelle Kontakte oder Beziehungen, finanzielle Verantwortung für dich und vielleicht auch deine Familie, Konflikte in der Arbeitswelt … auch dort können Anteile in dir zum Vorschein kommen, die sich später unterbewusst zu Wort melden.
Ein Punkt, den ich hier nur am Rande erwähnen möchte, sind Traumata. Also Ereignisse, die so nachhaltig prägend sind, dass sich im extremsten Fall sogar Anteile bilden, sich im Folgenden von dir abkapseln bzw. dissoziieren. Die Aufdeckung solcher Anteile und die Arbeit mit Ihnen sollte jedoch eher Bestandteil einer therapeutischen Beziehung sein. Da ich mich auf den systemischen Coaching Anteil beziehe, will ich diesen Teil nicht vertiefen.
Herausforderung
Was bringt aber nun die Arbeit mit inneren Anteilen oder warum beschäftigt man sich überhaupt damit?
Geh gedanklich nochmal zu den Beispielen zurück. Erkennst du dich wieder und diese Zwiegespaltenheit wieder? Hast du diesen verschiedenen Gedanken die gleiche Bedeutung zugewiesen? Oder gab es Situationen, in denen du dich vielleicht eher selbst verflucht hast, weil wieder ein Persönlichkeitsanteil im Vordergrund stand und du das gar nicht wolltest? Willst du vielleicht zukünftig, dass “der Diplomat” einen Konflikt löst, du aber immer bei “dem Katastrophisierenden" hängen bleibst? Oder du dich am Wochenende für deinen kindlichen Anteil entscheidest und du am Wochenstart zurückschaust und denkst “Hätte ich mal lieber ….”
Es ergeben sich, meiner Meinung nach, zwei grundlegende Herausforderungen.
Was will mir der jeweilige Anteil sagen? Warum agiere ich in einer Situation auf die eine Weise, wenn ich doch eigentlich etwas anderes will? Was ist mein Bedürfnis, welches ich offensichtlich habe, ich aber nicht bewusst benennen kann? Wie kann ich mich mit dem jeweiligen Anteil auseinandersetzen?
Wie schaffe ich es, jedem Anteil wohlwollend einen Platz in meinem Alltag zu geben? Was muss ich tun, damit ich “dem Erwachsenen”, “dem Kind”, “dem Katastrophisierenden" ….eingestehen kann, dass seine Gedanken berechtigt sind und sie sich für mich einsetzen? Wie schaffe ich es, dass ich mich nicht schlecht fühle, wenn ein Anteil in den Vordergrund tritt?
Um die Klärungen dieser Fragen soll es dann in den einzelnen konkreten Methoden gehen. Gerne unterstütze ich dich auch dabei, die jeweiligen Systeme für dich zu erarbeiten oder herauszufinden, was die Anteile vermitteln wollen.
Abschluss
Ich hoffe du konntest mit dieser Übersicht schon etwas anfangen! Für mich hat die Arbeit mit diesem Modell dazu geführt, dass ich immer wiederkehrende Muster in meinem Verhalten einmal gezielter hinterfragen konnte. Zu erkennen, dass hinter jedem Anteil ein Bedürfnis steht, ist schon eine Menge wert. Zu erkennen, was das Bedürfnis ist, ist dann der erste Schritt, um gegebenenfalls ein Alternativverhalten zu erarbeiten oder in die Akzeptanz zu gehen. Vielleicht hilft auch dir das, um dich selbst etwas besser kennenzulernen.
In jedem Fall danke ich dir wie immer für deine Zeit und deine Aufmerksamkeit.
In diesem Sinne!
Bleib gesund!