Das wird man wohl doch erwarten dürfen!

In diesem Post will ich ein paar Gedanken zu einem Thema teilen, was mich jetzt seit einer ganzen Weile begleitet und immer wieder in den Vordergrund tritt. Erwartungshaltungen! Wo kommen sie her? Was machen Sie mit uns? Sind sie positiv oder negativ? Beides? Nichts davon? Mal schauen

Allgemeines

Im Netz findet man folgende, häufig ähnlich klingende Definitionen wie “Von einer bestimmten Erwartung geprägten Haltung”. Es gibt also eine Erwartung, die die eigene (und vielleicht fremde) Haltung beeinflusst. 

Die Erwartung auf der einen Seite könnte man als eine, in unserem Kopf geschaffen Vorschau auf kommende Ereignisse sehen. Eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses. Das ist wohl ein Prozess, den du konstant und zu jeder Zeit durchführen musst. Wenn du über die Straßen gehst und einschätzt, ob du es rechtzeitig schaffen wirst oder wenn du dir am Morgen die Frage stellst, welche Kleidung passend für den Tag ist. 

Hinter der Vorschau in deinem Kopf steckt aber auch irgendwo noch ein Bedürfnis. Wenn du dir die Frage zum Überqueren der Straße stellst, dann steht dahinter dein Sicherheitsbedürfnis. Bei der Kleiderwahl steht vielleicht ein soziales Grundbedürfnis (Anerkennung) oder auch ein Sicherheitsbedürfnis (z.B. bei Sicherheitskleidung).

Und was Haltung angeht: Dabei handelt es sich um die Einstellung, die du in Bezug auf eine Person, Gruppe, Situation, Vorstellung … hast. Sozusagen die Brille oder ein Filter, durch die du beobachtest und bewertest. Man könnte also sagen, deine Haltung ist dein Bewertungsfilter deiner Umgebung. 

Eine Erwartungshaltung ist also im Ergebnis eine, von einem Bedürfnis getriebene Einschätzung der Zukunft und daraus resultierend eine Anpassung deiner Handlungen. Klingt doch irgendwie fancy?!

Meine (negative) Erfahrung mit der Erwartung

So wirklich bewusst habe ich über das Thema in der zweiten Hälfte meiner Zwanziger nachgedacht. Ich hatte gerade einen neuen Job in einem komplett neuen Bereich angenommen, bin umgezogen in eine neue Stadt und war in einem neuen Team. Die Stimmung war zu Beginn wunderbar. Man geht auf die Reise, packt an, schafft etwas Neues und bringt sich und seine Ansichten dabei auch noch gewinnbringend in das Thema ein. So zumindest meine Erwartungshaltung.

Die nächsten Jahre waren doch etwas ernüchternd. Das Unternehmen ist durch mehrere Umstrukturierungen gegangen, Bereiche wurden zerteilt, aufgelöst und zusammengeführt und die Priorität für unser Thema war nicht so ganz klar. Meine persönliche Erwartung war: “Wir wurden extra gegründet, um unser Thema im Unternehmen zu etablieren, also brauchen wir auch den Support anderer Bereiche” … Die besagten Bereich sahen das aber zum Teil anders. Die Erwartungen gingen von “Das müssen die schon alleine hinkriegen” über “Wir schicken mal einen Kollegen in ein wöchentliches Meeting” zu “Hier habt Ihr einen Systemzugang… Viel Spaß” oder “Das Thema brauchen wir überhaupt nicht!”. Ein homogenes Verständnis gab es nicht. Im Ergebnis hat das Thema nie den Stand erreicht, den wir uns in unserem ersten Strategieworkshop mal schön auf ein Whiteboard geschrieben haben. 

Unabhängig von der strategischen Ausrichtung habe ich mich selbst in einer Situation wiedergefunden, in der nicht klar war, was die Erwartung an mich als Mitarbeiter ist. Was am Anfang mal in der Stellenbeschreibung stand, war schnell unzureichend. Meine Führungskraft hat mir zwar angeboten, mich zu entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen zu schicken, welche aber für die nächsten n-Monate notwendig gewesen wären, konnte weder er noch ich abschätzen. Wie also weiterentwickeln? Welchen Anspruch möchte ich an mich und meine Arbeit haben? Es hat sich zu einem zähen Weg von Woche zu Woche entwickelt. Am Ende war dies ein Zustand, den ich nicht mehr aufrechterhalten konnte und ich habe beschlossen, die Firma zu verlassen. 

Ein systemisches Problem?

Das ist nur (m)ein Beispiel, welches im Arbeitskontext vorkommt. Wenn ich mich umhöre, kämpft jeder irgendwie damit. Egal ob großer Konzern, mittelständisches Unternehmen oder kleiner Familienbetrieb. Der (Arbeits-)markt ist in einem ständigen Wandel und das was sich heute wie eine richtige Ausrichtung anfühlt, kann morgen schon wieder komplett obsolet sein. Flexibilität und eine Anpassung der Erwartungshaltung ist also notwendig ... unvermeidbar sogar. Was ist also mein Problem?

Kommunikation! Immer wieder ist es Kommunikation. 

Mein Problem ist, dass “jeder” eine Erwartungshaltung an dich hat, aber nur ein Bruchteil sie auch klar formuliert. In einem Arbeitskontext könnte das theoretisch so einfach sein. Meine Führungskraft könnte mir sagen “Ich erwarte von dir, dass du Produkt 1 x-mal verkaufst” oder “Ich erwarte, dass der Prozess 2 um x% schneller laufen muss”. Also eine klare Formulierung “Worum geht es?” und “Was ist das Ziel?” und im besten Fall auch noch “Wie soll der Weg dahin aussehen?”. Daran kann man sich entlanghangeln und die Erwartung erfüllen.

Problematisch wird es aber schon, wenn ein Mitarbeitender mit dieser Erwartungshaltung in einen angrenzenden Bereich geht und Führungskraft 2 damit ein Problem hat. Aber auch das ließe sich lösen, indem die beiden Führungskräfte sich abstimmen und ein  gemeinsames Ziel erarbeiten. Was aber eher passiert ist, dass Führungskraft 2 zum Mitarbeitenden sagt "Nein, das können wir nicht” und schon sitzt die Person zwischen den Stühlen und kommt nicht weiter.

Mein Appell

Ich finde also, die Personen, die eine Erwartungshaltung auf einen Mitarbeitenden ausüben können, müssen miteinander reden! Es kann nicht (oder nur bedingt) sein, dass die Mitarbeiter so ins “Kreuzfeuer” kommen und am Ende enttäuscht, frustriert oder im schlimmsten Fall deprimiert sind. Redet miteinander und zieht am selben Strang. Nehmt euch ggf. die Zeit, das operative Geschäft ruhen zu lassen, schließt euch zu einem Workshop ein und klärt Erwartungshaltungen ab. Am Ende spart das natürlich auch Geld. Mitarbeiter, die nicht gefrustet von A nach B laufen, können mehr Zeit mit produktiven Dingen verbringen. 

Aber auch außerhalb der Arbeit

Aber natürlich beschäftigt uns das Thema Erwartungshaltung nicht nur im Arbeitskontext. Viel mehr wachsen wir von Geburt an damit auf. Unsere Eltern haben Erwartungen an uns, unsere LehrerInnen, Freunde, Partner, Fremde auf der Straße, VermieterInnen, Institutionen, der Staat … usw. Aus jeder (sozialen) Rolle, die wir einnehmen, ergeben sich Erwartungen, die wir erfüllen können/müssen/wollen

Ein konkretes Beispiel

Als Beispiel nehmen wir ein Rollensystem, das wir alle durchlaufen, was unglaublich viele Erwartungen auf uns projiziert und was zum Glück in den letzten Jahren immer mehr diskutiert wird. Geschlechterrollen! “Indianerherz kennt keinen Schmerz”, “Mädchen müssen mit Puppen spielen”, “Jungs mögen Blau und Mädchen Pink”, “Frauen können nicht stark sein”, "Männer dürfen nicht schwach sein” …. Du verstehst, was ich meine. 

Es werden von Geburt an und lediglich aufgrund unserer primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale Erwartungen auf ein Kind projiziert, was die komplette Entwicklung beeinflusst. Als Kind bist du mehr oder weniger dazu verdammt, das zu glauben, was dir vorgelebt wird. In der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter beginnst du vielleicht zu merken, dass diese Erwartungen eventuell nicht mit dem Übereinstimmen, wie du dich fühlst oder was deine Werte sind. 

Der Spagat beginnt: "Darf ich so sein, wie ich mich fühle?" oder “Werde ich dann von meiner Familie/Freunden/Gesellschaft nicht mehr akzeptiert?” Ich würde die Vermutung aufstellen, dass jeder Mensch zumindest eine Person in seinem Umkreis hat, die genau mit so einer existenziellen Frage belastet ist. 

Die Arbeit an diesen tief sitzenden Glaubenssätzen braucht viel Zeit und Arbeit und ist auch nicht immer schön. In schwerwiegenden Fällen ergibt sich auch ein Therapiebedarf. In jedem Fall ist aber das Erkennen und die Akzeptanz der eigenen Wahrheit ein heilsamer Schritt. Aus meinem Beispiel oben habe ich gelernt, dass darüber zu reden ein sehr wichtiger Bestandteil sein kann, diesen Prozess in Gang oder am Leben zu halten. Gerne unterstütze ich dich dabei auch.

Aber es muss doch auch eine positive Seite geben! Oder?

Jetzt ist bis hierher der allgemeine Ton doch eher negativ behaftet. Erwartungshaltungen zerreißen dich und am Ende brauchst du Therapie. Aber so schwarz und weiß ist es ja auch nicht.

Über Bedürfnisse und Strategien

Erwartungshaltungen können genauso auch eine Art Leitplanke im Leben sein. Ich habe eingangs erwähnt, dass hinter einer Erwartung auch ein Bedürfnis steht und das Stillen von Bedürfnissen gehört zu unserem Alltag. Das heißt, wenn du in dich gehst und dir deine (oder die fremde) Erwartungshaltung unter dem Blickwinkel anschaust “Was könnte das Bedürfnis dahinter sein?", kannst du viele Situationen schon entschärfen. Oder vielleicht war dir selber noch gar nicht so genau klar, was dein Bedürfnis ist und du hast so die Möglichkeit, dich selbst tiefgreifender zu hinterfragen. 

In einem anderen Beitrag habe ich über den Unterschied zwischen Bedürfnis und Strategie zur Bedürfniserfüllung gesprochen. Dort verweise ich darauf, dass man sich nicht auf eine Strategie versteifen sollte, um ein Bedürfnis zu erfüllen, da viele Wege nach Rom führen. Vielleicht kannst du auch bei einer Erwartungshaltung einen anderen Weg finden, der das gleiche Bedürfnis stillt

Wachstum in hilfreichen vorgegebenen Bahnen

In der Zeit, in der deine Eltern dich erziehen, vermitteln sie konstant Ihre Werte und Weltanschauung. Die Erwartung ist grundsätzlich erstmal, dass du dich zu einem funktionierenden und sicheren Erwachsenen entwickelst. Kein Elternteil will per se, dass es dem eigenen Kind schlecht geht. Das heißt sie geben dir einen Rahmen mit, der dir (Ihrer Meinung nach) sagt was richtig und was falsch ist, was man zu tun und zu lassen hat, oder wie man im Leben übersteht. Im besten Fall verlässt du dein Elternhaus und bist gewappnet für den Alltag. Leider klappt das auch nicht immer. Eltern spielen dieses "Elternsein" ja auch zum ersten/zweiten/dritten Mal. Sie machen Fehler oder sind überfordert. Manche laufen vor der Verantwortung weg. Vielleicht sind die Erwartungen an sie als Eltern auch zu groß. Ich unterstelle einfach mal, dass Sie Ihr Bestes versuchen.

Aber auch später im Leben - angenommen du machst eine Ausbildung oder studierst. Dann ist der festgelegte Lehrplan die Erwartungshaltung daran, was du am Ende der Lehrzeit können solltest. Du selbst kannst ja noch gar keine qualifizierte Erwartungshaltung an das Ende haben - im Zweifel hast du noch gar keine Ahnung, wo die Reise hin geht. Der Lehrplan ist also deine Leitplanke.

Oder ganz abstrakt - unser Sozialstaat funktioniert dadurch, dass Steuern und Abgaben bezahlt werden und dadurch Leistungen für die BürgerInnen erbracht werden. Es wird also von dir erwartet, dass du deinen Teil dazu beiträgst, diesen Apparat zu finanzieren und dafür kannst du erwarten, dass du im Leistungen erhältst (Krankengeld, Bürgergeld …). Problematisch ist natürlich auch hier wieder, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. Aber auch da gilt “Kommunikation! Immer wieder Kommunikation” Wenn dir unklar ist, was du erwarten kannst, ist die Enttäuschung groß, wenn es weniger ist als du gehofft hast.      

Was nehmen wir daraus mit?

Ich bringe das Thema an dieser Stelle mal zu einem Ende. Was ist mir bei dem Thema wichtig?

  1. Versuche dir klar zu werden, was du aus dir selbst heraus erwartest oder was von jemand anderem kommt. 

  2. Ist eine Erwartungshaltung, die dir entgegengebracht wird, unklar, dann frag nach. Nur wenn dir klar ist, was die andere Person von dir möchte, kannst du entsprechend handeln

  3. Nicht jede Erwartungshaltung, die dir entgegengebracht wird, musst du erfüllen. Ganz im Gegenteil - du bist eine selbstbestimmte Person, die auch “Nein” zu Erwartungshaltungen sagen kann. Setze dir Grenzen und halte sie auch ein.

  4. Sei dir bewusst, die Erwartungshaltung deines Gegenüber kommt auch nur aus einem Bedürfnis. Wenn du das verstehst, fällt es dir leichter, einen gemeinsamen Weg zu finden.

Wenn du bis hierhin gelesen hast, danke ich dir wieder für deine Zeit und deine Aufmerksamkeit. Ich hoffe, du konntest etwas mitnehmen oder hast einen kleinen Impuls erhalten, ein Thema unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Wenn du bei einem der Themen Unterstützung brauchst, kannst du gerne auch das Kontaktformular nutzen und dich bei mir melden. Vielleicht kann ich dir zur Seite stehen.

In diesem Sinne.

Bleib gesund!

Zurück
Zurück

Innere Anteile / Persönlichkeitsanteile

Weiter
Weiter

Gewaltfreie Kommunikation